Zum ersten Mal erlebten wir so etwas wie Überlebensangst

Interview mit dem Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger

Sie wurden als Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz soeben wiedergewählt. Treten Sie in zwei Jahren erneut an?

Das weiss ich noch nicht. Vorerst bleibe ich bis Sommer 2026 im Amt. Gesundheitsdirektor zu sein, ist ein sehr anspruchsvoller Job. Gesundheit ist ein Riesenthema.

Wieso?

Wir Menschen entfalten uns immer mehr. Sowohl die Lebenserwartung als auch die Lebensqualität haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht. Optimierung ist das Gebot der Stunde. Gleichzeitig haben wir eine starke demografische Entwicklung. Entsprechend höher sind die Ansprüche an das Gesundheitswesen.

Während und nach der Pandemie kam es zu massenhaften Kündigungen vor allem in den Pflegeberufen.

Ja, der Personalmangel stellt die ganze Entwicklung infrage. Es muss gelingen, das Bild, das man sich von der Gesundheitsbranche macht, in der Öffentlichkeit wieder positiv zu besetzen.

Haben Sie ein Rezept gegen die Prämienexplosion, die nächstes Jahr munter weitergeht?

Wir stehen vor einem grossen Schritt. Wir müssen viel effizienter werden. Tätigkeiten, welche die Technik besser macht, sollten wir delegieren, um die Menschen zu entlasten. Das beginnt bereits bei Spracherkennungsprogrammen oder der Sturzüberwachung in Altersheimen. Es kann doch nicht sein, dass ein Arzt mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit für Administration aufwenden muss. Die Technik soll die Menschen unterstützen. Ich sehe dafür eine wachsende Bereitschaft.

Auf der politischen Ebene braucht es eine bessere Planung. Die Angebote müssen gesteuert werden. Es geht nicht in erster Linie darum, Spitäler zu schliessen, sondern Kompetenzen zu bündeln, sodass grössere Fallzahlen erreicht werden. Aber etwas dürfen wir nicht vergessen: Den wichtigsten Beitrag zur Kostensenkung muss jeder selber leisten. Mit einer gesunden Lebensweise und einem bewussten, rationalen Einsatz von Therapien und Medikamenten.

In der Covid-Krise waren Sie an der Seite von Bundesrat Berset die besonnene Stimme der ­Kantone. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Zum ersten Mal erlebten wir als Gesellschaft so etwas wie Überlebensangst. Auf die existentielle Bedrohung waren wir nicht vorbereitet. Wir merkten rasch, dass in der Wertehierarchie das menschliche Leben Vorrang hat vor wirtschaftlichen und finanziellen Überlegungen. Eine grosse Mehrheit der Bevölkerung hat das mitgetragen.

Hat man nicht überreagiert?

Nein, im Herbst 2020 waren wir sogar zu spät dran. Man hätte früher reagieren müssen. Auf der anderen Seite wäre die eine oder andere Nuancierung möglich gewesen.

Was haben wir bei den Masken falsch gemacht?

Auch hier waren wir im Rückblick zu unentschlossen. Aus heutiger Sicht hätten wir das Tragen von geeigneten Masken viel früher und breiter propagieren müssen.

Brauchte es die Covid-Zertifikate wirklich?

Ja, ich würde wieder auf das Zertifikat setzen. Die Alternative wäre gewesen, monatelang das ganze gesellschaftliche Leben herunterzufahren. Allerdings hätte man die Handhabung vielleicht einfacher ausgestalten können.

Hätten sich Spaltung und Radikalisierung nicht vermeiden lassen?

Eine nachhaltige Spaltung in der Gesellschaft konnten wir vermeiden. Dazu trug massgeblich unsere direkte Demokratie bei. Inzwischen sind viele Gräben wieder überwunden.

Hielt die Impfung, was sie versprochen hat?

Ja, ohne Impfung wäre der wirtschaftliche und gesundheitliche Schaden unvergleichlich grösser gewesen.

Was kommt im Sommer und Herbst auf uns zu?

Im Sommer erwarte ich nach den bisherigen Erfahrungen eher eine ruhige Phase. Das Coronavirus wird wohl erst im Herbst wieder ein Thema, wenn auch in einer abgeschwächten Form. Was die Impfung betrifft: Es muss uns gelingen, in der Bevölkerung das Bewusstsein zu schaffen, dass sie immer noch wichtig ist. Speziell für ältere Menschen und solche mit gesundheitlichen Risiken.

Was machen Sie selber für Ihre Gesundheit?

Ich achte auf viel Bewegung im Alltag und bin deshalb oft zu Fuss und mit dem Velo unterwegs. Und einmal pro Woche versuche ich, meinen Körper intensiv zu belasten.

Grösse und Gewicht?

178 cm, 69 Kilo.

Wie viel Mal am Tag essen Sie?

In der Regel nur zwei Mal. Am Mittag und spätabends, wobei ich auch sehr gerne selber koche.

Was entspannt Sie?

Ich setze mich gerne ans Klavier. Und ich nutze die Wege zu Fuss und auf dem Velo bewusst als bildschirmfreie Zeit, wo ich nur mit mir selber unterwegs bin.

Ein letzter Tipp?

Weniger vom Staat erwarten, dafür mehr individuelle Verantwortung übernehmen. Mit dem eigenen Verhalten können wir den wirkungsvollsten Beitrag für ein nachhaltiges, bezahlbares Gesundheitswesen leisten.

Sterberate von Covid-19 höher als bei Grippe

Trotz einer Abschwächung ist das Coronavirus für den Menschen noch immer gefährlicher als Influenzaviren, so eine neue Studie.

Infektionen mit SARS-CoV-2 verlaufen infolge der Immunität durch Impfungen oder frühere Erkrankungen heute in der Regel viel milder. Auch die zahlreichen Mutationen haben dazu beigetragen, dass sich das Virus abgeschwächt hat.

Das bedeutet allerdings nicht, dass COVID-19 eine harmlose Erkrankung geworden ist. In den Risikogruppen, zu denen vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen gehören, gibt es weiterhin Todesfälle. Die Studienautoren berechneten eine um 35 Prozent höhere Mortalität als bei der Grippe.