Die meisten Männer gehen mit ihrer Gesundheit zu nachlässig um

Männer neu 04.18

Sie sind Experte für Männergesundheit. Hat das starke Geschlecht das wirklich nötig?

Das vermeintlich starke Geschlecht hat sehr wohl Gesundheit nötig. Und entsprechend auch Experten, die Männern helfen können, bewusst Vorsorge in Anspruch zu nehmen und rechtzeitig Risiken zu erkennen. Männer haben in der Regel eine niedrigere Lebenserwartung als Frauen, wobei die Gründe vielfältig sind. Männer gehen mit ihrer Gesundheit meistens zu nachlässig um. Anders als beim Auto, das sie regelmäs­sig zur Wartung bringen, gehen Männer meistens erst dann zum Arzt, wenn bereits Defekte oder Symptome auftreten. Dann ist eine Primärprophylaxe, die darauf zielt, Krankheiten gar nicht entstehen zu lassen, oft gar nicht mehr möglich, sondern es braucht bereits eine Behandlung. Die Aufmerksamkeit gilt dann der Sekundärprophylaxe, die das Wiederauftreten oder Voranschreiten der Erkrankung verhindern soll.

Männer sind Gesundheitsmuffel. Männer wissen durchschnittlich mehr über Autos als über ihren Gesundheitszustand, wobei das Gesundheitsbewusstsein zwar vorhanden ist, aber das Gesundheitshandeln vernachlässigt wird. Wegen einer vermeintlichen Bagatelle geht Man(n) nicht zum Arzt, wir sind doch keine Weicheier. Aber gerade schwerwiegende Symptome und Erkrankungen wie Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Bluthochdruck, Prostataerkrankungen oder Glaukom können sehr lange – zu lange – schmerz- und weitgehend symptomfrei verlaufen.

Man(n) könnte glauben, Männergesundheit gebe es schon immer, aber erst seit rund zehn Jahren besteht eine zunehmende Aufmerksamkeit für dieses Gebiet. Ich selber bin Gründungsmitglied des europäischen Arbeitskreises für men’s health. Gesundheitsprobleme bei Männern bedürfen im gesamten Lebenslauf besonderer Präventions- und Versorgungsangebote, die grösstenteils aber erst noch geschaffen werden müssen.

Vielleicht sind wir aber auch das sensiblere Geschlecht in Bezug auf Partnerschaft. Die Sterblichkeit nach Verlust des Ehepartners innerhalb von vier Jahren ist um das Doppelte erhöht. Männer profitieren stark von einer stabilen Partnerschaft.

Wie steht es um die Gesundheit bei Männern, ­speziell im Vergleich zur Gesundheit bei Frauen?

Männer sterben früher als Frauen. In der Schweiz können Männer damit rechnen, dass sie im Schnitt 80 Jahre alt werden; die Lebenserwartung bei Frauen liegt bei 86 bis 87 Jahren. Frauen nehmen in allen Altersklassen mehr präventive Leistungen in Anspruch. Frauen achten bewusster auf ihre Ernährung als Männer, wobei rund 29 Prozent der Frauen, hingegen 46 Prozent der Männer übergewichtig sind. Prozentual sind Männer bei folgenden gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen gegenüber Frauen führend: Rauchen, übermässiger Alkoholkonsum, Medikamentenkonsum, insbesondere Schlaf-, Beruhigungs-, Schmerz- und Anregungsmittel sowie illegale Drogen. Junge Männer zwischen 15 und 20 Jahren sterben doppelt so häufig als junge Frauen. Falsche Männlichkeitserwartungen und riskantes Verhalten führen zu mehr Unfällen und enttäuschte Männlichkeitsideale, Autoaggres­sionen und Depressionen begünstigen Suizide.

Welchen Einfluss haben die Gesundheitsdefizite bei Männern auf deren Sexualleben?

Ganz erheblichen Einfluss. Männliche Potenz, die oftmals gleichgesetzt wird mit Erektionsfähigkeit, nimmt mit dem Alter ab. Andersherum können sich aber auch Erektionsstörungen negativ auf den Gesundheitszustand des Mannes auswirken. Einerseits betrifft die Erektionsstörung nicht nur den Mann alleine, sondern auch die Sexualität der Partnerschaft. Das kann Spannungen mit sich bringen – bis hin zum Rückzug aus der Partnerschaft. Anderseits können Potenzstörungen auch im Beruf und Sport etc. zu negativen Auswirkungen führen, da der Mann sich nicht mehr als leistungsfähig wahrnimmt.

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PD Dr. med. Alexander Müller, Chefarzt Klinik für Urologie, Spital Limmattal

Welches sind die grössten Potenzkiller?

Neben dem Älterwerden sind die bekannten Risiken für Herzinfarkt und Schlaganfall auch die grössten Gefahren für Erektionsstörungen. Dazu zählen Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen, Überkonsum von Alkohol, Fettleibigkeit und Testosteronmangel. Erektionsstörungen auf Basis einer Gefässerkrankung können Vorboten sein für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall und treten etwa zwei bis fünf Jahre früher auf. Der Penis kann als Fenster zum Herzen interpretiert werden. Männer zwischen 40 und 49 mit Erektionsstörungen, die auf Gefässveränderungen zurückzuführen sind, haben ein 50-fach erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Männer mit Erektionsstörungen haben gegenüber gleichaltrigen Männern ohne Erektionsstörungen ein signifikant höheres Risiko für koronare Herzerkrankung, Schlaganfall und vorzeitigen Tod.

Wie aufgeklärt und kommunikativ ist der heutige Mann in Sachen Sex und dessen Störungen?

Man könnte meinen, dass in unserem Zeitalter der medialen Aufklärung ein befreiter Umgang mit dem Thema Sexualität vorliegt. Aber gerade wenn es um sexuelle Funktions­störungen geht, ist dies nach wie vor ein Tabuthema. Weniger als 30 Prozent der Männer mit Erektionsstörungen suchen medizinische Hilfe, und dies durchschnittlich erst nach zwei Jahren. Das hat mit Scham und Peinlichkeit, aber auch mit der Angst vor einer möglichen Diagnose und der medizinischen Abklärung zu tun. In der Schweiz suchen weniger als 3 von 10 Männern wegen Erektionsproblemen einen Arzt auf. Rund 70 Prozent der Männer glauben, dass ihr Arzt entsetzt sein könnte, mit der Problematik konfrontiert zu werden. 8 von 10 Männern erwarten, dass sie vom Arzt darauf angesprochen werden.

Was raten Sie einem Mann um die 60, der ein bisschen Übergewicht hat, ein bisschen unsportlich ist, ein bisschen viel trinkt, nur noch ein bisschen Potenz hat, aber überhaupt keine Lust, sich vor seiner Partnerin zu blamieren?

Dieser Mann ist erheblich gefährdet, da gravierende Risiken für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung einschliesslich einer erektilen Dysfunktion vorliegen. Ich würde dringend raten, einen Arzt zu konsultieren, wobei der Schlüssel zu seiner Gesundheit in der interdisziplinären Zusammenarbeit liegt. In erster Linie gilt es, modifizierbare Risikofaktoren zu eliminieren. Mehr Bewegung, Reduktion von Übergewicht, ausgewogene Ernährung, Rauchen stoppen, Alkohol reduzieren und Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen oder Testosteronmangel kontrollieren und einstellen. Das ist die grundlegende Basis für eine hoffentlich gute Gesundheit. Man muss den Patienten darauf aufmerksam machen, dass er sich in einem günstigen Zeitfenster befindet, das nur noch zwei bis fünf Jahre offen ist, bevor es zu einem Herzinfarkt kommen kann.