Mein Mann ist 70 Jahre alt. Er hatte vor 15 Jahren eine Hirnblutung. Seither ist er leicht behindert. Bei uns läuft sexuell praktisch nichts mehr. Ungefähr alle sechs Wochen hat er einmal Lust, nach 15 Minuten ist alles vorbei. Keine Liebkosung, kein Kuss, keine Umarmung, nichts. Wenn ich ihm zu nahe komme, wimmelt er mich ab. Ich habe das soweit akzeptiert und mache nichts mehr von mir aus.
Von Ehetherapie will er nichts wissen
Ich unternehme viel mit Freundinnen. Einmal im Jahr gehe ich mit einer Freundin in die Ferien. Dann kann ich meine Ferien so gestalten, dass es für mich stimmt. Sonst muss ich immer Rücksicht nehmen. Mit meinen 58 Jahren fühle ich mich zu jung, so zu leben. Vor einigen Jahren schlug ich eine Ehetherapie vor. Doch davon wollte er nichts wissen.
Soll ich ihn deswegen verlassen?
Ich bin sehr selbständig, arbeite noch 60 Prozent. Manchmal denke ich, ich sollte ihn verlassen. Doch ich weiss, er könnte nicht mehr alleine selbständig leben. Er ist auf mich angewiesen. Immer wieder frage ich mich, was noch wird. Muss ich das akzeptieren? Es ist nicht einfach! Ich bin überzeugt, wenn ich mit einer Therapie komme, heisst es nur „gat’s na!“. Jetzt habe ich mir dies von der Seele geschrieben. Ich rede auch mit meinen Freundinnen darüber.
Das sagt Henri Guttmann, Paar-und Familientherapeut in Winterthur:
In Ihrer Ehe ist in den letzten Jahren ein erhebliches Ungleichgewicht entstanden, das einmal mit einer Fachperson angeschaut werden sollte. Wenn Ihr Mann nicht mitkommen will, gehen Sie alleine zu einem Ehetherapeuten. Ihr Mann sollte das Angebot haben, jederzeit einzusteigen.
In meiner Praxis mache ich es oft so, dass ich den Mann im Einverständnis der Ehefrau anrufe und ihn einlade, in einem Einzelgespräch mir mal die Ehesituation ganz aus seiner Warte darzulegen. Auch Ihr Mann hat das Bedürfnis, seine Sichtweise zu schildern, auch wenn er noch nicht dazu stehen kann.
Sie haben in den letzten Jahren sehr viel geleistet. Die Wertschätzung und die Anerkennung sind allerdings auf der Strecke geblieben. Einfühlsamer Sex und Zärtlichkeit sind nur eine Form, wie sich Paare zeigen können, dass sie einander verstehen. Wertschätzende Worte im Alltag, ein Kompliment oder eine hilfreiche Geste gehören genauso dazu. Das sind Fähigkeiten, die wir lebenslang lernen können.
Gehen Sie mal davon aus, dass sich Ihr Mann in Bezug auf seine abweisende Art und seine mangelnde Empathie Ihnen gegenüber ohne fachliche Unterstützung kaum verändern wird. Ihr Mann hat sich als Begleiterscheinung des Schlaganfalls psychisch verändert. Häufig liegt eine behandelbare Depression vor, die durch die Abhängigkeit von Ihnen noch zusätzlich zu mürrischem Verhalten führt. Hier könnten Gespräche mit einer Fachperson zusammen mit Medikamenten bereits viel Positives bewirken.