Fetische haben etwas Anrüchiges, lassen abartigen Sex vermuten. Doch ist es wirklich so? „Es mag überraschend klingen, aber viele von uns haben irgendeine Art von Fetisch in sich“, sagt Sexualtherapeutin Dr. Dania Schiftan aus Zürich. „Daran ist an sich nichts Verwerfliches. Fetisch ist nichts anderes als die Gewöhnung an ein bestimmtes Objekt. Wenn der Fetisch aber untrennbar und ausschliesslich mit der Lust nach Sexualität verknüpft ist, kann es problematisch werden.“
Fetisch schon in der Kindheit?
Wie wird jemand zum Fetischisten? „Die Lust auf Fetische geht weit in unsere Kindheit zurück. Rufen wir uns in Erinnerung, wie der kleine Bub in der Unterwäsche-Schublade seiner Mutter wühlt. Es ist verboten, in dieser Kommode zu stöbern, doch der Kleine tut es, sieht sich die Wäschestücke an und ist dabei aufgeregt. Gerade weil es verboten ist, möchte er es immer und immer wieder machen. Mitten in der Aufregung vor der Schublade findet bei ihm eines Tages eine spontane Erektion statt. Spontan deshalb, weil so etwas in jeder Situation passieren kann. Das ist völlig normal. Wenn der Bub nun aber einen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem Wäschestück und der Erektion herstellt, ist der Fetisch geboren.“
„Immer wieder geht der kleine Bub an die Schublade und ruft die wohlige Erektion ab. Mit den Jahren verfeinert er das Spiel und benutzt Frauen-Unterwäsche bei der Selbstbefriedigung. Tritt er in eine Beziehung ein, bittet er seine Partnerin, derartige Wäschestücke beim Sex einzubauen. Vielleicht merkt er mit der Zeit, dass die Erregung noch stärker wird, wenn er auf Latex-Wäsche oder Windeln, auf Lackstiefel oder andere Gegenstände fokussiert.
Problem oder nicht?
Und wo liegt das Problem? Dania Schiftan: „Problematisch wird es, wenn er ohne den Fetisch-Gegenstand keine Lust mehr auf Sexualität hat oder wenn er ohne den Fetisch keine Erektion mehr bekommt. Dann ist er gezwungen, den Gegenstand in die partnerschaftliche Sexualität einzubauen. Vielleicht ist die Frau davon nicht sehr begeistert. Möglicherweise versucht sie trotzdem, seinem Wunsch – zum Beispiel nach Lackstiefeln – im Bett einmal zu entsprechen. Am Anfang findet sie es auch gar nicht so schlimm, vielleicht sogar auch ein bisschen erregend. Aber mit der Zeit will sie mal wieder Sex ohne den Fetisch haben. Das Problem ist: Ohne Fetisch funktioniert es bei ihm nicht. Zu sehr ist er auf das Objekt fokussiert. Und was denkt sie? Sie nimmt sein Verhalten sehr persönlich und denkt, dass es ihm gar nicht um sie als Frau und um die Lust auf ihren Körper geht, sondern nur um diese verdammten Stiefel. Zusätzlich belastet es sie psychisch, denn sie kann ihm nicht geben, was er will.“
Miteinander reden und verhandeln
Was kann das Paar tun? „Es muss seinen Beziehungsrahmen neu definieren. Miteinander reden und verhandeln, wer wozu bereit ist. Die beiden können sich auch entgegenkommen. Vielleicht kann sie lernen, den Fetisch des Partners selber erregend zu finden. Oder er begibt sich in therapeutische Hände, um zu lernen, Sex auch ohne den Fetisch erregend und befriedigend zu finden. Reden hilft – auf allen Ebenen.“
Kerze statt Lackstiefel
Übrigens sind vom sexuellen Fetisch nicht nur Männer betroffen. Frauen setzen aber mehr auf Szenarien als auf Gegenstände. Es gibt zum Beispiel Romantik-Fetischistinnen. Wenn nicht das Kerzchen brennt und die romantische Schmuse-Musik spielt, geht’s bei ihnen nicht. Der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Fetisch: Die Kerze ist gesellschaftlich besser akzeptiert als das Paar Lackstiefel.
Dania Schiftan ist Psychotherapeutin und klinische Sexologin. www.daniaschiftan.ch