Tiere wirken stärker als manches Medikament

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Schneeflöckli, Jean-Paul und Elsa sind einsatzbereit. Sie knabbern am Heu, quiecken und streiten sich um den beliebten Platz in der kleinen Hängematte. Mehr müssen die drei gar nicht machen, um ihren Job zu erledigen. «Meerschweinchen werden im tiergestützten Einsatz unterschätzt», sagt Barbara Schaerer, Fachfrau für tiergestützte Intervention, und lockt den Trupp mit frischem Löwenzahn an. Sofort tippeln die drei herbei und schnappen sich die saftigen Leckereien.

Lange waren Barbara Schaerer und ihr Mann Peter mit Tieren in Altersheimen unterwegs. Heute geben sie ihr Wissen in Kursen weiter. «Es ist unglaublich, was Meerschweinchen und Hühner bei den Heimbewohnern und Heimbewohnerinnen, vor allem auch bei Menschen mit Demenz, auslösen.» Der Besuch findet immer im Rahmen der Aktivierung statt. Vielen ist es langweilig und Tiere sorgen für Abwechslung. Das beginnt schon beim gemeinsamen Aufstellen des extra angefertigten Tischgeheges. «Dabei wird die Motorik trainiert, und beim Verteilen des Heus werden sofort die Sinne angesprochen», sagt Barbara Schaerer. «Nur schon durchs Beobachten der Meerschweinchen kommen alle ins Gespräch. Das macht automatisch Freude und gute Laune.»

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Barbara Schaerer war mit ihren Hühnern und Meerschweinchen jahrelang in Heimen unterwegs, um die Bewohner zu aktivieren. Heute gibt sie ihr Wissen in Kursen weiter.

Streicheln, sprechen und füttern. Tiere sind treue Begleiter der Menschen und vor allem im Alter eine wichtige Stütze. So sorgen Hunde dafür, dass man jeden Tag rausgeht und schneller ins Gespräch mit anderen Leuten kommt. Man ist nie alleine, man muss für jemanden sorgen. Neben all diesen sozialen Faktoren haben Tiere aber auch einen erwiesenen Einfluss auf unsere Gesundheit.

Haustiere schützen vor Demenz

Mehrere Studien ergaben, dass Tiere regulierend auf unser Stresssystem sowie auf den Cortisol- und Oxytocin-Spiegel wirken. So beeinflussen sie unsere Stimmung und den Verlauf von psychischen Beschwerden wie Schizophrenie, Depressionen, Angsterkrankungen und ADHS. Eine kürzlich publizierte Untersuchung aus den USA zeigte, dass Personen mit einem Haustier gesamthaft gesünder sind. Dabei geht es nicht nur um Hunde und Katzen, sogar einem Fisch zuzuschauen, könne den Blutdruck senken und die Muskeln entspannen, so die Autoren der Studie.

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Dr. med. Peter Fischer verstand sich schon als Kind gut mit Tieren. Esel Angelo ist einer der wichtigsten Mitarbeiter in seiner Geriatrie-Praxis in Rheinfelden AG.

All diese Beobachtungen macht auch Dr. med. Peter Fischer. «Kommen meine Patienten und Patientinnen mit Tieren in Kontakt, werden sie ruhiger und zugänglicher.» In seiner Praxis in Rheinfelden hat sich der ehemalige Stv. Chefarzt der Memory Clinic Basel auf die Behandlung und Begleitung älterer Menschen spezia­lisiert. Einer seiner wichtigsten Mitarbeiter ist Angelo, ein Esel. «Angelo ist treuherzig, handzahm und lässt sich gerne streicheln. Er steht für das Lebendige. Er atmet, frisst, bewegt sich. Er geht offen, freundlich, vollkommen vorurteilslos und bedingungslos auf die Menschen zu. Das öffnet die Herzen und erhellt auch den getrübten Geist», erzählt er.

Tiere sind in der Medizin die idealen Partner, um eine Beziehung mit Patienten aufzubauen. Sie brauchen dazu nicht einmal Worte und haben keine Erwartungshaltung. «Tiere sind immer ehrlich, und man kann sie gut lesen. Das ist bei Menschen viel schwieriger», sagt Dr. med. Peter Fischer. «Esel Angelo zum Beispiel hat keine Berührungsängste und kommuniziert. Ich habe sogar schon erlebt, dass ältere Personen, die eigentlich nicht mehr mobil sind, extra in den Garten gekommen sind, um ihn zu füttern. Auf diese Weise komme auch ich als Arzt einfacher mit ihnen ins Gespräch.»

Tiere machen Patienten ruhiger und zugänglicher

Gerade demente Personen profitieren von der nonverbalen Therapie durch die Tiere. So können sie sich im Kontakt mit dem Esel besser öffnen, Stress und Aggressionen abbauen, ihre Psychomotorik wird ausgeglichener. «In der palliativen Pflege haben wir gute Erfahrungen mit Therapiehunden gemacht. Sie helfen schmerzgeplagten Krebspatienten körperlich und seelisch. Die Kranken brauchen weniger Opiate, haben deshalb weniger mit deren Nebenwirkungen zu kämpfen und bleiben aktiver in der Kommunikation mit den Angehörigen», sagt der Geriater.

Natürlich geht es beim Einsatz von Tieren nicht nur um die Menschen. Das Ganze funktioniert nur, wenn sich die Tiere wohlfühlen, artgerecht gehalten und nicht überfordert werden. «Das Wohl der Tiere steht immer an erster Stelle. Sie müssen den Bedürfnissen der jeweiligen Tierart entsprechend gehalten, sorgfältig auf ihre Aufgabe vorbereitet und im Einsatz fachgerecht betreut werden. Nur Tiere, die nicht gestresst sind und den Kontakt zu Menschen mögen, dürfen eingesetzt werden. Auch für sie soll der Besuch im Altersheim Abwechslung und Bereicherung in ihrem Alltag sein», sagt Barbara Schaerer.

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Gruppentiere wie Meerschweinchen geben viel zu beobachten. So kommen alle ganz schnell miteinander ins Gespräch.

Schneeflöckli hat sich soeben den Hängematten-Platz ergattert und döst vor sich hin. Elsa schnappt sich nochmals einen Grashalm. «Das Füttern hat für viele ältere Menschen eine wichtige Bedeutung. Früher haben sie für ihre Kinder und Angehörigen gesorgt, heute sind viele auf Hilfe angewiesen. Dank den Tieren fühlen sie sich gebraucht und Erinnerungen werden lebendig», sagt Barbara Schaerer. Das bestätigt auch die Wissenschaft. Eine aktuelle Studie aus Florida ergab, dass Haustiere dabei helfen können, Gedächtnisverlust und den Abbau kognitiver Fähigkeiten abzuwehren.

Infos zu Barbara Schaerer
www.tiere-im-heim.ch

Infos zu Dr. med. Peter Fischer
www.geriatriepraxis.ch