Turmspringer mit Höhenangst

| Turmspringer 203|Turmspringer 6

Wer meint, dass man Turmspringer:innen nur im Wasser antrifft, täuscht sich. Das Training der Turmspringschule Zürich beginnt inmitten von Kraftgeräten, dicken Matten und Medizinbällen. Dreimal in der Woche versammelt sich dort die Gruppe von Lehrer Jan Wermelinger zum Aufwärmen. «Das ist ganz wichtig, um Verletzungen zu vermeiden und die Technik zu lernen», sagt er.  Die Hauptrolle spielt dabei eine Air-Track-Matte, die etwa acht Meter lang ist und damit fast die ganze Länge des Raumes einnimmt. Zuerst stellen sich die Kursteilnehmer in einer Reihe auf und hüpfen über die Matte, die wie ein Trampolin funktioniert. Abwechselnd werden dabei die Knie hochgezogen, Rollen vor- und rückwärts geübt. Bereits nach ein paar Minuten wird schwerer geatmet, und die Teilnehmer kommen ins Schwitzen.

Ich wollte nicht nur am Beckenrand sitzen

Seit dem Frühling trainiert auch Jörg Frei jeden Donnerstagabend im Hallenbad Wallisellen. Der 51-Jährige kennt Jan Wermelinger aus dem Crossfit-Training. «Ich wusste, dass er auch Turmspringkurse gibt und habe ihn gefragt, ob das mit Höhenangst überhaupt möglich sei. Ich wollte im Sommer nicht mehr nur am Beckenrand sitzen und den anderen zuschauen, wie sie ins Wasser springen», erzählt er. «Grundsätzlich kann diese Sportart jeder und jede lernen. Es ist keine Frage des Alters oder des Mutes», sagt Profi-Turmspringer Jan Wermelinger. Hat jemand Angst, passt er das Training an.

Eine Konfrontationstherapie hat mir geholfen

In der ersten Gruppenlektion kam Jörg Frei trotzdem an seine Grenzen. «Ich dachte, ich könnte einfach einmal zuschauen. Aber dem war nicht so. Wir sollten alle einmal vom Ein-, Drei- und Fünfmeterbrett springen. Schon beim Dreimeterbrett musste ich aufgeben. Ich konnte nicht einmal nach vorne laufen.» Um diese Angst zu überwinden, half ihm eine Konfronta­tionstherapie, unter Anleitung von Profi Jan Wermelinger. «Jeden zweiten Tag ging ich ins Hallenbad und stieg ein- bis zweimal auf das Dreimeterbrett; ohne Absicht zu springen. Mir ging es danach jeweils richtig schlecht. Mein Körper musste sich noch stundenlang vom Stress erholen. In solchen Momenten dachte ich manchmal, dass ich es nie schaffen werde.»

Turmspringer 6

Nach drei Wochen machte es beim 51-Jährigen aber plötzlich klick. «Ich merkte, dass die ständige Konfrontation mit der Angst etwas bewirkte. Sprünge wurden möglich, und es machte Spass.» Die Angst, sich beim Eintauchen ins Wasser zu verletzen, wurde dafür immer kleiner. «Dieser Sport sieht zwar gefährlich aus, ist es aber nicht. Am ehesten verletzt man sich beim Aufwärmen auf dem Trampolin oder an den Geräten», sagt Jan Wermelinger. Trotzdem hat Jörg Frei mit einer überlasteten Sehne an der Schulter zu kämpfen. «Das kommt davon, dass ich heimlich etwas zu exzessiv geübt habe», gesteht er. «Ich wollte die Sprünge möglichst schnell lernen und ging zum Teil täglich ins Hallenbad. Weil ich alternativ behandeln will, hat mir Jan die Wallwurz-Salbe von Dr. Andres empfohlen. Ich streiche sie am Morgen und Abend ein und merke, wie sich die Schulter erholt. Zusätzlich kann ich im Crossfit Eisbäder nehmen. Und ich mache Pausen. Das habe ich mittlerweile gelernt. Der Körper muss sich erholen können.»

Ich wollte einfach etwas Neues lernen

Im Turmspringen geht vieles um Körperbeherrschung. «Als Fitnesstrainer staune ich manchmal, wie viele Personen sich nicht richtig spüren», sagt Jan Wermelinger. «Auf dem Brett steht man oft ein paar Minuten ganz ruhig und nimmt sich einfach nur wahr. Das hilft auch enorm im Alltag, um sich besser zu konzentrieren. Im Kurs liegt die Altersspanne zwischen 13 und 51 Jahren und die Niveaus sind ganz verschieden.»

«Auch wenn ich ein Anfänger bin, werde ich voll akzeptiert. Ich möchte einfach etwas Neues lernen und mich herausfordern. Und ich habe gemerkt, dass es nicht darum geht, dass ich schon vom Fünfmeterbrett springe. Es ist viel wichtiger, dass ich zuerst die Grundlagen auf dem Einmeterbrett lernen kann. Und irgendwann einmal schaffe ich dann vielleicht Delfinsprünge vom Dreimeterbrett. Diese zeigen nämlich die Wenigsten in der Badi», sagt Jörg Frei und lacht.