Bleiben Sie ja nicht im Bett!

Bild: AdobeStock |Schulthess Klinik Porchet Francois CA WS Neurochir

Warum leiden so viele Menschen an ­Rückenschmerzen?

Die Wirbelsäule ist das zentrale Stützorgan des Körpers und stabilisiert ihn im aufrechten Gang. Im Laufe der Jahre kommt es zu Abnützungserscheinungen, und dann plötzlich kommt der Tag, an dem man deswegen Rückenschmerzen entwickelt.

Wie zeigen sich diese?

Häufig beginnen die Beschwerden mit einem Hexenschuss. Er ist eine erste Warnung, dass mit dem Rücken etwas nicht stimmt. Der Grund kann zum Beispiel ein kleines Wirbel­gelenk sein, das durch eine Fehlbelastung einen kleinen sensiblen Nerv blockiert. Als Schutzmechanismus verkrampft sich die Muskulatur, und zack hat man einen Hexenschuss. Wichtig ist, dass man ihn registriert und beobachtet.

Dann muss man nicht gleich zum Arzt oder zur Ärztin?

Nein, oft reicht ein wenig Geduld. Sind die Schmerzen aber unaushaltbar oder werden nach zwei bis drei Tagen nicht besser, rate ich, den Hausarzt aufzusuchen. Je nach Symptomen und Dauer der Beschwerden, braucht es dann eine Überweisung an eine Fachperson.

Schulthess Klinik Porchet Francois CA WS Neurochir
PD Dr. med. François Porchet, Chefarzt Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Neurochirurgie Schulthess Klinik Zürich

Was sind die Gründe für Rückenschmerzen?

Man unterscheidet zwischen unspezifischen und spezifischen Beschwerden. Bei etwa 85 Prozent der Fälle ist keine genaue körperliche Ursache feststellbar (unspezifisch). Eine spezifische Ursache ist zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall, der zu einer Ischialgie führt. Die Wirbelsäule ist ein passives Organ, welches eine starke Muskulatur als Stützkorsett benötigt, um Abnützungserscheinungen der Bandscheiben und kleinen Wirbelgelenke aufzuhalten. Die Abnützungserscheinungen sind allgemeine unspezifische Ursachen von Rückenschmerzen.

Was braucht unser Rücken?

Bewegung. Das beginnt schon bei den Kindern. Anstatt im Zimmer stundenlang zu gamen, ist es besser, draussen zu spielen. Die Eltern sollten ein Vorbild sein und einen aktiven Alltag leben. Die Muskulatur kann man einfach stärken. Bei den Bandscheiben ist es schon schwieriger. Inwiefern diese mit dem Alter spröde werden, ist zum Teil genetisch bedingt. Aber auch da hilft ein gesundes Muskelkorsett.

Was mag er sonst noch?

Wenn man sitzt, dann bitte aufrecht. Und zwischendurch sollte man immer wieder aufstehen. Das machen sogar wir Wirbelsäulenchirurgen an den Kongressen.

Was schadet?

Neben zu wenig Bewegung natürlich auch das Rauchen, weil die Bandscheiben dann schlechter ernährt werden. Und wie immer, sollte man Alkohol und Übergewicht im Griff haben.

Welcher Einfluss hat Stress?

Die psychische Verfassung spielt sicher eine Rolle. Um Stress zu bewältigen, helfen Coping-Methoden. Als Rückenspezialisten sehen wir solche Fälle aber eher selten.

Dann behandeln Sie ­vorwiegend komplizierte Fälle?

Ja, die meisten Patienten und Patientinnen werden vom Hausarzt überwiesen und haben schon einiges ausprobiert. Sie leiden zum Teil unter richtig starken Schmerzen, gegen die auch Medikamente nur begrenzt nützen.

Wie helfen Sie diesen Leuten?

Indem ich zuerst eine saubere Anamnese mache. Das wichtigste Diagnosemittel ist die klinisch-neurologische Untersuchung. Wir analysieren die Wirbelsäule, tasten, ob muskuläre Verspannungen vorhanden sind, testen, ob Reflexe fehlen oder Gefühlsstörungen und Lähmungen aufgetreten sind. Bei stärkeren Symptomen strahlt der Schmerz auch in das Bein aus. Kann die Ursache nicht eindeutig bestimmt werden, verwenden wir zusätzliche Untersuchungsmethoden, wie zum Beispiel radiologische Abklärungen, Infiltrationen (also Spritzen unter Röntgenkontrolle) oder elektrophysiologische Untersuchungen.

Braucht es nicht ein MRI anstatt ein Röntgen?

Nein, das meinen viele. Aber das Röntgen bietet einen entscheidenden Vorteil: Der Patient oder die Patientin ist dabei in aufrechter Haltung. In dieser Position sieht die Wirbelsäule anders aus als im Liegen, das ist für die Diagnose sehr wichtig. Erst als zweites Hilfsmittel macht man ein MRI. Das ist ein extrem gutes Tool, weil man da ganz viele Details sieht, zum Beispiel die Qualität der Bandscheiben, ein Bandscheibenvorfall oder eine Stenose.

Welches sind die Therapiemöglichkeiten?

Wir unterscheiden zwischen konservativ und operativ. Ganz wichtig: Es gibt bei uns, ausser in Notfallsituationen, keine OP ohne vorherige konservative Therapie. Daran führt kein Weg vorbei.

Was versteht man alles unter konservativer Therapie?

Das sind zum Beispiel Physiotherapie, Rückenschule oder Osteopathie. Wenn der Schmerz mit diesen Behandlungen nicht kontrollierbar ist, gibt es Infiltrationen. Damit kann man gezielt den Ursprungsort mit Cortison und Lokalanästhetikum behandeln. Das reduziert die Entzündung, und die Physiotherapie ist wieder besser durchführbar, weil man nicht mehr so blockiert ist durch den Schmerz.

Wann braucht es trotzdem eine Operation?

Wenn alle konservativen Therapien in einem Zeitraum von drei bis sechs Monate nicht helfen und man den spezifischen Grund kennt. Oder natürlich in Notfallsituationen wie akuter Lähmung oder Mastdarm- und Blasenlähmungen.

Welche OP führen Sie am häufigsten durch?

Bandscheiben-Operationen und Dekompressionen, wo man den Spinalkanal erweitert. Dieser wird im Alter aufgrund von Arthrose oft verengt. Die Erfolgschancen liegen bei 90 Prozent. Bei schwereren Eingriffen mit Stabilisation durch Schrauben sind es 70 bis 80 Prozent. Damit sind wir zufrieden.

Die Patienten auch?

Wenn man sie richtig aufklärt: Ja. Sie müssen wissen, dass je nach Schwere der Erkrankung sie nie komplett schmerzfrei sein werden, aber dass es ihnen danach viel besser gehen wird. Eine Operation bedeutet immer auch ein gewisses Risiko. Trotzdem gibt es keinen schnelleren Weg, um die Schmerzen nachhaltig zu beseitigen oder zu reduzieren. Zudem haben wir in der Schulthess Klinik im Vergleich mit anderen Spitälern eine sehr geringe Komplikationsrate und Fälle, die auf die Intensivstation verlegt werden müssen. Das spricht sehr für unser Haus.

Was noch?

Wir Mitarbeitende sehen uns als «Familie», wenn auch eine grosse. Dass wir uns alle persönlich kennen, erleichtert die Zusammenarbeit enorm und ist auch ein grosser Vorteil für unsere Patienten und Patientinnen. Alle Neurologen, Rheumatologen, Manual-Therapeuten, Orthopäden und Wirbelsäulenchirurgen analysieren gemeinsam die Fälle und entscheiden, welche Therapie am besten ist. Entscheidend ist auch, dass alle Patienten eine Eins-zu-eins-Behandlung erhalten. Ein Facharzt betreut sie von A bis Z. Das schafft Vertrauen und ist in unserem Beruf extrem wichtig. Das schätzen wir und auch die Patienten.

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