Gute Bakterien für den Darm

Darm

Er schlüsselt den Nahrungsbrei auf, er bringt die Nährstoffe direkt ins Blut, und er reguliert den Wasserhaushalt. Klar. Der Darm scheidet am Ende nur das aus, was der Körper wirklich nicht braucht. Logisch. Aber Achtung! Was jetzt kommt, stellt womöglich alles auf den Kopf, was Sie bisher über Ihren Darm zu wissen glaubten. Dr. Andreas Müller, Facharzt am Gastrozentrum Hirslanden in Zürich: «Die Leistung des Darmes erschöpft sich nicht mit seiner Funktion als Verdauungsorgan. Der Darm kann noch viel mehr. Er beeinflusst unser Denken, er steuert unsere Gefühle und er ist tragende Säule unserer Immunabwehr. Was wir gemeinhin als Bauchgefühl wahrnehmen, sind Signale aus dem Darm, unserem zweiten Hirn. Es besteht aus einem komplexen Nervensystem und einer vielfältigen Bakterienflora.»

Informationsfluss zu 90 Prozent von Darm in den Kopf

Ein denkendes Hirn im Darm? Wie muss man sich das vorstellen? Dr. Müller: «Ein Blick zurück in der Evolution genügt. Der Wurm hatte als eines der ersten Tiere einen Darm mit einfachem Nervensystem, mit Ganglien und Neurotransmittern. Aus dem oberen Teil dieses Darmes entwickelte sich das Zentralnervensystem. Aus dem deutlich grösseren unteren Teil wurde das enterische Nervensystem, unser heutiges Darmhirn. Es verläuft von der Speiseröhre bis zum Anus. Kopfhirn und Darmhirn blieben während der ganzen Evolution miteinander verbunden. Sie tauschen auch heute noch wichtige Botschaften aus. Die grosse Überraschung: Der Informationsfluss geht zu 90 Prozent vom Darm in den Kopf und nur zu zehn Prozent in die umgekehrte Richtung.»

Quelle der Botschaften aus dem Darm sind nicht nur die Nervenbahnen und Neurotransmitter, sondern auch Bakterien. Wahrscheinlich beeinflussen sie mittels neurochemischen Substanzen die Signale ans Kopfhirn. So können sie auch unser Sättigungsgefühl verändern. Das Darmhirn setzt aber auch unbewusst Lernprozesse in Gang und steuert Gemüts- und Stimmungslagen. Serotonin als Stimmungsaufheller wird zum grössten Teil im Darm produziert. Mit Hilfe der Bakterien steuert das Darmhirn auch die Immunreaktion. Wie das geht, ist noch nicht erforscht. In ihrer Gesamtheit bilden die Bakterien eine Darmflora, deren Dimension gewaltig ist. Der Mensch besitzt zehn Mal mehr Bakterien- als Körperzellen.

Darmbakterien pflegen Darmschleimhaut

Damit der Darm tadellos funktioniert, erneuert sich die Darmschleimhaut einmal pro Woche komplett. Sie ist nicht nur für eine gute Nährstoffaufnahme wichtig, sondern muss auch verhindern, dass Krankheitserreger ins Blut gelangen. Unsere Darmbakterien pflegen unsere Darmschleimhaut und unterstützen sie in ihrer Barrierefunktion. Auch können sie schädliche Bakterien direkt abwehren und bekämpfen. Ein gesunder Lebensstil unterstützt sie bei ihren Aufgaben. Stress, Alkohol, Rauchen, Antibiotika, Medikamente und eine ungesunde Ernährung sind für sie schädlich. Gerät die Darmflora aus dem Gleichgewicht, belastet das den gesamten Organismus und drückt auf die Stimmung. Heute weiss man: Übergewichtige haben eine andere Darmflora als Normalgewichtige. Autistische Menschen eine andere als psychisch gesunde Menschen. Und Rheumatiker haben eine andere Darmflora als Menschen ohne Rheuma. Dr. Andreas Müller: «Ich vermute, wir werden in den nächsten Jahren noch staunen, wenn wir herausfinden, wie man über einen gesunden Darm Krankheiten vermeiden oder gar heilen kann.»

Günstige Wirkung von Milchsäurebakterien

Was kann jemand tun, der nicht so lange warten will? Dr. Müller: «Er kann möglichst gute Rahmenbedingungen schaffen und die Darmschleimhaut mit Bakterien, die Milchsäure produzieren, versorgen. Probiotika oder Bifidus sind ein guter Ansatz. Obwohl viele unserer Darmbewohner noch unerforscht sind, ist die günstige Wirkung von Milchsäurebakterien auf den Darm bekannt. Das ist das Beste, was man für den Darm und das Wohlbefinden tun kann. Ich selber nehme jeden Morgen eine Ladung probiotischer Milchsäurebakterien. Daneben versuche ich ausgewogen zu essen, dem Darm Ruhephasen zu gönnen und nicht jedem Hungergefühl nachzugeben. Und ganz wichtig: Antibiotika nur dann einzusetzen, wenn es wirklich nötig ist, denn sie zerstören nicht nur die schädlichen, sondern auch die guten Bakterien.»