Die Wahrheit über die Mammografie

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Nicht durch die rosa Brille, nicht werberisch, aber auch nicht ideologisch geprägt und vernichtend. Endlich informiert jemand ehrlich über Vor- und Nachteile der Mammografie, über deren Nutzen und Risiken. „Jemand“ ist in diesem Fall ein neues Infoblatt des Gemeinsamen Bundesausschusses in Deutschland.

Nutzen des Screenings geringer als erhofft

Die brisanteste Aussage gleich vorweg: „Studien lassen offen, ob Frauen, die regelmässig zur Mammografie gehen, länger leben als Frauen, welche die Untersuchung nicht in Anspruch nehmen.“ Aus dem Merkblatt wird klar ersichtlich, dass der Nutzen des Screenings weit geringer ist als erhofft. Von 1000 Frauen, die zehn Jahre lang an einem Screening teilnehmen, werden nur gerade ein bis zwei Frauen vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt. Die allermeisten Frauen dagegen haben keinen gesundheitlichen Vorteil.

Bedenklich ist die Kehrseite der Reihen-Mammografie. Sie betrifft vor allem die Überdiagnosen, also Tumoren, die ohne Früherkennung zu Lebzeiten der Frau nicht aufgefallen wären und daher unnötige und beeinträchtigende Behandlungen nach sich ziehen. Den ein bis zwei geretteten Frauen stehen fünf bis sieben Frauen mit Überdiagnosen gegenüber. Ein weiteres gravierendes Problem sind die hohen Raten an falsch positiven Befunden, die weitere Untersuchungen nach sich ziehen. Ihre Zahl bei einer einzelnen Screeningrunde von 1000 Frauen wird mit 24 beziffert, wie die Deutsche ÄrzteZeitung schreibt.

In ihrem Leitartikel heisst es wörtlich: „Die Lektüre des Merkblattes kann dazu führen, dass Frauen das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Brustkrebs-Screenings weniger günstig beurteilen, als sie das bislang getan haben. Das wird sich möglicherweise in den Teilnehmerzahlen niederschlagen.“

Bei Schweizer Frauen wird das nicht anders sein, zumal eine in der angesehenen Medizinschrift „Lancet“ veröffentlichte Studie zeigt, dass Frauen eine verminderte Bereitschaft zum Screening haben, sobald sie über mögliche Überdiagnosen informiert werden.

Wenig erfreuliches Fazit: Mit dem Mammografie-Screening ist es wahrscheinlicher, dass sich eine Frau unnötig mit einer bedrohlichen Diagnose und medizinischen Eingriffen belastet als dass sie ihr Leben rettet.

Hoher Preis für geringen Nutzen

Interessant ist, dass ein Bericht des Swiss Medical Board, eine unabhängige Einrichtung der Konferenz der Gesundheitsminister der Schweizer Kantone und der Schweizerischen Akademie für Medizinwissenschaft, zu demselben Ergebnis kam. Der Expertenrat aus verschiedenen Disziplinen ging unvoreingenommen an das Projekt heran. Doch je näher sich die Wissenschaftler mit dem Mammografie-Screening beschäftigten, je mehr sie nach Evidenzen für den Nutzen suchten, umso größer wurde ihre Bestürzung. „Ein hoher Preis für einen geringen Nutzen“. So lässt sich die Kritik zusammenfassen.

Die Empfehlung des Expertengremiums, auf die Einführung von Mammografie-Screening-Programmen zu verzichten und die laufenden zu befristen, hatte zu einem Aufruhr unter Schweizer Krebsexperten und -organisationen geführt. Man hatte dem Gremium sogar unethisches Verhalten vorgeworfen. „Wie kann es unethisch sein, die Wahrheit offen zu kommunizieren, und wie sollte das komplett unklare Nutzen-Schaden-Verhältnis des Mammografie-Screenings die Frauen nicht verunsichern?“ fragten zwei Mitglieder des Gremiums im New England Journal of Medicine.

Gefahr Überdiagnose

In einem anderen Artikel wurden die Autoren noch deutlicher: „Das wirkliche Problem beim Screening besteht darin, dass man zu viele harmlose Tumore findet. Eines von drei bis fünf in einer Screening-Mammografie detektierten Karzinomen ist überdiagnostiziert. Für Frauen heisst das, mit der Diagnose Brustkrebs zu leben. Es heisst Operation, Radiotherapie, möglicherweise Chemotherapie mit allen Begleiterscheinungen wie Haarausfall etc. Es heisst, dass gesunde Menschen unnötigerweise krank gemacht werden. Das ist kein Kavaliersdelikt! Die Kombination von pekuniären Interessen, naivem Idealismus ohne Datenkenntnis und Aktivismus macht die Angelegenheit so besonders schwierig und emotional beladen. Bei keinem Thema verläuft die Diskussion so irrational wie beim Mammografie-Screening“.