Eisenmangel ist keine Modediagnose

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Ist Eisenmangel eine Modediagnose und sind Eiseninfusionen Wellness-Therapie?

Durch die heutzutage mit deutlich weniger Nebenwirkungen behaftete intravenöse Therapie wurde der parenterale Eisenersatz viel einfacher und populärer, da die orale Eisenzufuhr nach wie vor mühsam ist – häufig nur langsames oder gar kein Ansprechen, Nebenwirkungen wie Brechreiz oder Verstopfung. Ich würde aber nicht von einer Modediagnose sprechen und mit Wellness hat eine Eisen­infusion wenig bis nichts am Hut.

Welche Rolle spielt Eisenmangel in Ihrer Hausarztpraxis und nach welchen Richtlinien handeln Sie?

Eisenmangel ist eine häufige Diagnose. Ich halte mich an die Vorschriften der Zulassungsbehörde. Wenn ich bei etwas höheren Ferritin-Werten – also zum Beispiel zwischen 30 und 50 – eine Infusion empfehle, dann sage ich der Patientin, dass dies bei genauer Kontrolle durch die Krankenkasse eventuell nicht bezahlt wird. Ich bin zugegebenermassen zurückhaltend mit einer oralen Eisentherapie, da sie im Allgemeinen unangenehm und häufig erfolglos ist, was ja logisch ist, da es eben häufig Patienten betrifft, welche auch sonst das Eisen schlecht resorbieren.

 

Eisenmangel Zollikofer
Dr. med. Jürg Zollikofer

 

Was sagen Sie einem älteren Menschen mit ­einem niedrigen Ferritin-Wert, der abge­schlagen ist und kaum noch mag, und wie behandeln Sie ihn?

Dem empfehle ich vorbehaltlos eine Eiseninfusion, sofern nicht noch eine weitere Ursache infrage kommt.

Sie sind Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Vertrauens- und Versicherungsärzte. Weshalb ist Eisenmangel für viele Kassen ein rotes Tuch?

Als Vertrauensarzt respektive Präsident deren Fachgesellschaft will und kann ich nicht für die Kassen sprechen, weil Vertrauensarzt nicht gleich Kasse ist. Wir sind unabhängige Berater der Kassen. Der Eisenmangel ist für die Vertrauensärzte kein rotes Tuch – und wohl auch für die Kassen nicht. Mangel ist Mangel und muss behandelt werden. Ein rotes Tuch sind Leistungserbringer, welche unkritisch Eiseninfusionen applizieren, auch dort, wo die Indikation fraglich ist. Eisenzentren lassen grüssen.

Gibt es eine Art Richtschnur für die Kostenübernahme von Eisenpräparaten, namentlich zur intravenösen Anwendung?

Die Richtlinien der Zulassungsbehörden sind klar: Eisenmangel bei Patienten, bei welchen eine orale Eisentherapie ungenügend wirksam, unwirksam oder nicht durchführbar ist, wie bei Unverträglichkeit oraler Eisenpräparate, bei entzündlichen Magen-Darm-Erkrankungen wie beispielsweise Colitis ulcerosa, die sich durch eine orale Eisentherapie verschlimmern können, oder wie bei therapie­refraktären Eisenmangelzuständen mit Verdacht auf unzuverlässige Einnahme oraler Eisenpräparate. Intravenöse Eisenpräparate sollen nur verabreicht werden, wenn der Eisenmangel diagnostisch gesichert und durch geeignete Laboranalysen (z. B. Ferritin-Plasmaspiegel, Hämoglobin, Hämatokrit, Erythrozytenzahl, MCV und MCH) bestätigt ist.

Macht es wirklich Sinn, den Patienten eine wirksame Behandlung von symptomatischem Eisenmangel zu verwehren, mit dem Risiko, dass sie entweder gar nicht behandelt oder fehlbehandelt werden, zum Beispiel mit Anti­depressiva oder Schlafmitteln?

Sicher macht das keinen Sinn. Der Eisenmangel gehört mit Eisen und nicht mit Antidepressiva behandelt. Aber jeder ­seriöse Grundversorger klärt solche Fragen ab, bevor er ein Antidepressivum verschreibt.

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Eisenmangel im Alter

Eisenmangel und speziell eine Anämie sind keine natürliche Alterserscheinung. Wichtige Gründe für die häufigen Eisendefizite bei älteren Menschen sind unzureichende Ernährung, mangelnder Appetit, Kauprobleme, Vereinsamung, chronisch-entzündliche Erkrankungen, Blutverluste über den Darm, oft begünstigt durch die Einnahme von Schmerzmitteln, sowie die stark reduzierte Aufnahmefähigkeit von Eisen im Darm.

Bis zur Hälfte der Alters- und Pflegeheiminsassen ist von Eisenmangel betroffen. Die Symptome reichen von körperlichem Leistungsabfall, Schwächegefühl, verminderter Muskelkraft, mangelnder Koordination, Sturzanfälligkeit, Verlust der Selbstständigkeit, chronischer Müdigkeit und Apathie bis zu Kopfschmerzen und Defiziten von Gedächtnis und Konzentration, Verwirrtheitszuständen und sogar Depressionen. Es ist erwiesen, dass Eisenmangel im Alter die Sturzgefahr, aber auch das Demenz- sowie das Sterberisiko erhöht.

Ziel der Behandlung ist, normale Körpereisenspeicher zu erreichen, also Ferritin-Werte zwischen 50 und 100. Mit einer wirksamen, meist intravenösen Eisentherapie bessern sich die Symptome verhältnismässig schnell.