Erstaunliche Behandlungserfolge

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Weshalb haben so viele Frauen Probleme mit der Blase?

Dr. Daniele Perucchini: Für die Blasen- und Beckenbodenschwäche bei der Frau sind mehrere Faktoren verantwortlich. Einerseits Schwangerschaften und Geburten, welche den Beckenboden schwächen können und anderseits das Alter. Ich habe selber bei Forschungsarbeiten in den USA nachweisen können, dass es bei der Frau jeden Tag zum Verlust einer Muskelfaser in der Harnröhre kommt. Das entspricht einem Verlust von einem Prozent pro Jahr. Dies führt dazu, dass der Verschlussmechanismus der Harnröhre mit zunehmendem Alter schlechter wird und es beim Husten oder Niesen zu einem Abgang von Urin kommt. Für diese Forschungsarbeiten haben wir verschiedene Preise in den USA und in Europa erhalten, weil es sich um eine ganz neue Erkenntnis handelte, die zeigt, wie wichtig das Training der verbleibenden Muskelfasern ist.

Mit welchen Symptomen sollte eine Frau zum Arzt?

Seltener oder gelegentlicher, nicht störender Abgang von Urin bedarf keiner Abklärung und Behandlung. Auch bei jungen Frauen geht gelegentlich ein «Gütschli» Harn ab, zum Beispiel beim Lachen oder Sport. Sobald aber der Urinabgang störend ist und die Lebensqualität einschränkt wird, sollte jede Frau den Mut haben, aktiv zu werden und nicht im Stillen zu leiden. Blasenschwäche ist keine Alterserscheinung, mit der sich eine Frau abfinden muss.

Vor lauter Scham unterlassen viele Betroffene den Gang zum Arzt. Wie tragen Sie in Ihrem Blasenzentrum dem Rechnung?

Erste Anlaufstelle sind der Hausarzt oder der Frauenarzt. Oft kann schon mit einfachen Mitteln geholfen werden. Ganz wichtig ist ein Blasentagebuch, das die Frau mit dem Arzt bespricht. Das wird oft vergessen. Viele Frauen unterschätzen ihre Trinkmenge. Das kann die Blasenprobleme verstärken. Wenn es dann zu einer Abklärung bei uns kommt, erleben wir immer wieder, dass viele Frauen Angst vor der Untersuchung haben. Nachdem sie bei uns waren, sagen praktisch alle, die Angst sei unbegründet gewesen. Mit einem Informationsschreiben erklären wir der Patienten die Abläufe detailliert. Mein Team beschäftigt sich seit Jahren mit Blasen- und Beckenbodenschwäche. Schon am Empfang ist Einfühlungsvermögen gefragt. Unseren Pflegefachfrauen für die Blase gelingt es, den meisten Frauen rasch die Angst zu nehmen. Alle Patientinnen erhalten ein Tuch, damit sie sich während der Untersuchung bedecken können. Das ist ein Ausdruck von Respekt dem Schamgefühl gegenüber. Wir informieren die Patientin fortlaufend, was gemacht wird und beziehen sie in den ganzen Untersuchungsablauf ein. Weiter erhalten alle Frauen einen ausführlichen schriftlichen Bericht über den Befund mit genauer Diagnose und Empfehlungen für die Therapie.

Lohnt es sich wirklich, wegen unfreiwilligem Harnabgang und nervöser Blase zum Arzt zu gehen?

Ja, es lohnt sich. Was man im Volksmund nervöse Blase oder Reizblase nennt, heisst in der Fachsprache überaktive Blase. Hauptsymptom ist ein plötzlich auftretender, störender, starker Harndrang. Als Folge davon kommt es zu gehäuftem Wasserlassen am Tag und teilweise sogar in der Nacht, teils mit Inkontinenz. Beckenboden- und Blasentraining mit Verhaltensänderungen sowie Medikamente sind wichtige Elemente einer erfolgreichen Therapie. Ein Blasentagebuch hilft, herauszufinden, wie viel eine Frau überhaupt trinkt und ausscheidet. Nachgewiesen ist, dass eine Reduktion der Flüssigkeitszufuhr um 25 Prozent zu einer Verbesserung der Symptome führt. Auch ein Blasentraining ist sehr nützlich. Ziel ist die Steigerung des Blasenfassungsvermögens. Die zeitlichen Abstände zwischen den Toilettengängen werden schrittweise und teils mit Unterstützung von verschiedenen blasenentspannenden Medikamenten erhöht. Die Blase wird trainiert, mehr Wasser aufzunehmen und zu behalten, ohne dass Urin abgeht.

Je früher man sich bei solchen Beschwerden untersuchen lässt, desto eher kann geholfen werden.

Welche Medikamente helfen bei der Reizblase?

Medikamente werden erst nach Blasentraining und Verhaltenstherapie in Erwägung gezogen. Dem Arzt stehen ganz unterschiedliche Mittel  zur Verfügung, welche den Harndrang reduzieren und dafür sorgen, dass man weniger häufig auf die Toilette muss. In Sachen Wirkung sind alle Präparate in etwa gleich. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich der Verträglichkeit. Es gibt seit Jahren bewährte Wirkstoffe, die sicher und sehr verträglich sind, besonders, was die mentalen Funktionen wie Gedächtnis und Konzentration anbelangt, was vor allem bei älteren Patientinnen sehr wichtig ist. Die Wirkung tritt rasch ein. Wir wissen aber auch, dass sich der Effekt in den ersten Monaten noch zusätzlich verbessert, und dass die Wirkung mit der Zeit nicht nachlässt. Deshalb eignen sie sich auch zur Dauermedikation. Zum Teil sehen wir erstaunliche Behandlungserfolge. Das heisst, eine deutliche Linderung des Harndrangs sowie eine Verbesserung der Lebensqualität.

Was bringt Beckenbodentraining?

Die wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Beckenbodentraining ist die Fähigkeit, den Beckenboden wahrzunehmen und diesen gezielt anzuspannen. Deshalb ist es ratsam, ein Beckenbodentraining mit geschulten Physiotherapeutinnen, Hebammen oder Beckenbodentrainerinnen zu machen, um das Training der richtigen Muskelpartien zu erlernen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für diese Therapie nach ärztlicher Verordnung. Eine amerikanische Studie konnte zeigen, dass es sich lohnt, schon früh den Beckenboden zu trainieren. Damit lässt sich die Entstehung von Blasenbeschwerden ganz oder mindestens zum Teil vermeiden.

Was ist, wenn herkömmliche Therapien versagen?

Gegen die Belastungsinkontinenz gibt es spezielle Operationen, unter anderem die sogenannte Bändchenoperation. Dabei wird ein Kunststoffband unter die Harnröhre eingeführt, das den Verschluss der Blase unterstützt. Es hat sich in vielen Millionen Operationen weltweit und in eigener Erfahrung bei über 2000 Patientinnen sehr gut bewährt. Der Eingriff wird unter lokaler Anästhesie minimalinvasiv vorgenommen, und nur zwei kleine Durchstichstellen oberhalb der Schamhaare bleiben als Narben sichtbar. Die Erfolgsraten sind abhängig von der Erfahrung des Chirurgen und liegen bei 80 bis 90 Prozent.

Gegen schwere Formen der Reizblase kommt eine Behandlung mit Botulinumtoxin, das als Botox für die Faltenbehandlung bekannt ist, in Frage. Die Botox-Therapie für die Blase ist weltweit anerkannt und wird seit 2015 von den Krankenkassen übernommen. Der Wirkstoff wird während einer Blasenspiegelung an circa 20 verschiedenen Stellen in den Blasenmuskel gespritzt. Diese Behandlung führt häufig zu einer sehr eindrücklichen Verbesserung der Drangsymptomatik. Die Wirkdauer beträgt im Schnitt etwas weniger als ein Jahr. Viele Frauen benötigen aber erst nach ein bis zwei Jahren eine erneute Injektionstherapie. Wenn auch Botox nicht hilft, gibt es auch die Möglichkeit der Neuromodulation. Dabei wird ein Blasenschrittmacher implantiert. Dieses Verfahren ist aber aufwendiger und teurer.

Mehr Informationen

Machen Sie den Online-Blasentest der Gesellschaft für Blasenschwäche: www.inkontinex.ch. Er zeigt Ihnen, ob Sie ein Problem mit der Blase haben oder nicht.

Hotline für Fragen, Diskretion garantiert, kostenloser Versand von Informationsmaterial rund um das Thema Blasenschwäche: Telefon 044 994 74 30.