Hilfe, ich bin impotent!

Impotenz Pfarrer Bild Adob Bild: AdobeStock, Urheber: Agata Kowalczyk

Vor bald zwei Monaten habe ich im Prostatazentrum des Kantonsspitals eine Operation wegen Krebs gehabt, mit vollständiger Entfernung der Prostata. Dabei konnte nur eines der beiden Nervenbündel geschont werden. Bedeutet das, dass die Chancen, irgendwann wieder einigermassen normale, spontane Erektionen zu bekommen – rein statistisch – noch ungefähr halb so gross sind wie mit beidseitiger Schonung? Oder ist damit der sexuelle Ofen – sprich die Penetrationsfähigkeit – definitiv aus? Muss ich davon ausgehen, dass Sex mit natürlicher Erektion ab jetzt nicht mehr möglich sein wird?

Ich wäre wirklich dankbar für eine offene Antwort. Ich hatte bisher das Gefühl, dass man mir – auch ärztlicherseits – Hoffnungen macht, von denen ich nicht weiss, ob sie nicht einfach so etwas wie vorläufige Vertröstungen sind. Nur damit ich mich an eine Zukunft ohne Sex gewöhnen kann. Ich will mich aber nicht damit abfinden, dass ich diese für mich immer sehr schöne Seite des Lebens nun einfach streichen soll. Dieser Gedanke deprimiert mich unendlich und vergällt mir nun so manche Lebens- und Zukunftsfreude.

Ich bin ein 66-jähriger pensionierter Pfarrer. Seit einem Jahr bin ich mit einer Lebenspartnerin zusammen, die 15 Jahre jünger ist. Sie sagt, dass für sie zum sexuellen Zusammensein die Penetration einfach dazugehört. Nur sich von mir befriedigen lassen, ohne Penetration, das mag sie nach eigener Aussage nicht. Das würde bedeuten, dass ich jetzt quasi darauf warten muss, bis er wieder mal steht. Ein riesiger Leistungsdruck, der bei mir erfahrungsgemäss das Gegenteil – also null Erektion – bewirkt.

Es macht mich schon jetzt zeitweise halb verrückt. Da habe ich eine schöne, liebe, intelligente, interessante und begehrenswerte Frau neben mir. Es wäre so schön, auch im Bett die bis vor kurzem genossene Nähe und Verbundenheit wieder erleben zu können. 

Aber die triste Realität sieht, stark vereinfacht, etwa so aus: jeder Tag ist jetzt gleich langweilig. Aufstehen, essen, die täglichen Dinge verrichten, ab und zu ein Ausflug etc. und am Feierabend schlafen gehen. Und dann liegt die liebe Frau neben mir. Im Kopf sind das Begehren und Sehnen da, aber unten regt sich einfach gar nichts, auch mit Medikamenten nicht. Wie gesagt: das macht mich halb oder fast ganz verrückt. Ich bin dadurch sehr aufgewühlt, oft gereizt und unzufrieden. Und als Mann, der sich seit zwei Monaten nur noch als halber Mann fühlt, haben mein Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen bereits sehr gelitten. Was einer Beziehung auf Dauer auch nicht förderlich ist. 

Bisher hatten meine Partnerin und ich es auch sexuell sehr schön zusammen. Meine grosse Angst – vielleicht die grösste überhaupt – ist halt jetzt: falls es bei mir nicht mehr geht, wird sich meine Partnerin als jüngere und sehr attraktive Frau, die gerne Sex hat, nicht fast zwangsläufig früher oder später einen potenten Liebhaber suchen? Damit könnte ich nicht leben, so gut kenne ich mich. Respektive es wäre ja dann ohnehin das Aus der Beziehung. Nachdem meine Frau vor zwei Jahren, mit erst 53, an Krebs gestorben ist, ist halt die Verbindung mit meiner Partnerin aus meiner Sicht die letzte grosse Liebe meines Lebens.

Mein Rat

Mein lieber Herr Pfarrer! Gut, dass Sie Ihr Leid von der Seele schreiben. So kann es wirklich nicht weitergehen. Obwohl die Operation erst zwei Monate her ist, sind Sie völlig auf die paar wenigen Zentimeter fixiert. Die fordernde Erwartungshaltung Ihrer wunderbaren Partnerin trägt ganz offensichtlich auch nicht zu einem entspannten Umgang mit der Erektionsstörung bei. Hier sollten beide über die Bücher und sich sogar in der Bibel vertiefen. Immerhin diente die Operation ja dazu, Sie von einer unter Umständen lebensbedrohlichen Krebserkrankung zu befreien. In erster Linie geht es jetzt um Ihre Gesundheit. Das sollte beiden bewusst sein. Beten Sie miteinander.

Sinnstiftende Aufgaben und eine verbindliche Tagesstruktur

Dann gibt es noch ein Punkt, wo ich Sie ermahnen muss. Die ewig gleich langweiligen Tagesabläufe sind doch nicht gottgegeben und schon gar nicht der fehlenden Erektion geschuldet. Sie sind Folge eines offensichtlichen Mangels an sinnstiftenden Aufgaben, ein Problem, das viele Pensionierte haben. Geben Sie sich eine verbindliche Tagesstruktur. Engagieren Sie sich in sozialen oder kirchlichen Dingen. Das sollte Ihnen als ehemaligen Pfarrer nicht schwerfallen. Und verführen Sie um Gottes Willen Ihre schöne, liebe, intelligente, interessante und begehrenswerte Frau schon den Tag durch, nicht mit Sex, sondern mit Aktivitäten, die beide herausfordern. Wie wär’s mit einem Kletterkurs, mit Tantra, Wassersport oder irgendeinem Kampfsport, wo Sie sich wieder als Mann wahrnehmen?

Und zu guter Letzt, und nicht vorher, zur Erektionsstörung. Mehr als 400’000 Männer in der Schweiz haben ernsthafte Probleme mit der Erektion, vorwiegend in der zweiten Lebenshälfte. Vier von fünf Betroffenen gehen nicht zum Arzt. Und wenn sie es tun, ist die Gefahr gross, dass sie zwar ein Rezept bekommen, sich aber mit ihrem Problem allein fühlen und nicht wissen, wie man das Medikament richtig anwendet. Auch ist vielen Paaren nicht bewusst, dass es für eine gute Wirkung sexuelle Stimulation braucht. Hier können beide Hand anlegen – oder noch mehr.

Ich verweise Sie an ein erfahrenes Zentrum, wo man die jetzige Situation gründlich interdisziplinär abklären und Sie eingehend beraten kann. Den allermeisten Betroffenen kann heute geholfen werden, sei es mit Medikamenten oder mit Hilfsmitteln.

Das sagt Prof. Nicolas Diehm vom Zentrum für Gefässmedizin Mittelland in Aarau:

Verschiedene Ursachen können zu erektiler Dysfunktion führen. Oftmals ist eine Erektionsstörung auch ein Hinweis für wichtige andere Erkrankungen. Eine Nebenverletzung nach Prostata-Operation wäre in dieser Situation denkbar. Am häufigsten liegen jedoch Durchblutungsstörungen im Bereich der Penis-zuführenden Schlagadern vor, die heute oft – ähnlich wie am Herzen – mit sogenannten Stents, das heisst kleinen Drahtgittern, behandelt werden. Sie dienen dazu, die Arterie nach der Ballonerweiterung offen zu halten.

Liegen Gefässverkalkungen der Penis-Gefässe vor, ist das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöht. Deshalb müssen Risikofaktoren identifiziert und behandelt werden, um ein Übergreifen der Gefässverkalkung im Penis auf andere wichtigen Schlagadern im Körper zu verhindern.

Gründliche Untersuchung wichtig

Nach unserer Erfahrung wird vielen Patienten eine psychische Ursache der erektilen Dysfunktion unterstellt, meistens finden sich jedoch organische Ursachen. Daher ist es wichtig, dass sich Patienten mit Erektionsstörungen gründlich untersuchen lassen. In der Regel benötigt es dazu ein Netzwerk aus Urologen, Gefässspezialisten, Kardiologen sowie Internisten. Dabei ist es sehr wichtig, dass diese Spezialisten gut mit dem Hausarzt zusammenarbeiten.