Mein Mann hatte immer eine Ersatzperson

Migraene

Ich versuche Ihnen einen Einblick in mein Leben mit Migräne zu geben. Da ich seit meiner Kindheit daran leide und nun 53 Jahre alt bin, habe ich recht viel Erfahrung. Meine Migräne hat fast ausnahmslos nachts begonnen. Somit war ich mit der Medikamenteneinnahme immer zu spät. Bei jedem Migräneanfall lag ich zwei Tage lang flach. Ich konnte das Bett nicht verlassen, habe kaum was trinken und schon gar nicht essen können. So übel war mir und der Schmerz kaum zum Aushalten.

Wir trafen eine Abmachung

Mein Mann, den ich mit 18 Jahren kennen gelernt habe, hat oft an einen Anlass, den wir zusammen geplant hatten, alleine oder mit meiner Vertretung gehen müssen. Am Anfang hatte er grosse Mühe, nie zu wissen, ob er mit mir rechnen kann oder eben nicht. Wir trafen eine Abmachung, welche die Situation für uns beide entspannte. Mein Mann hat für Anlässe wie Konzerte, Theater etc. immer eine Ersatzperson gehabt, die bei Bedarf eingesprungen ist. Ich staune, wie viel Verständnis von seiner Seite immer da war. Nur für die kirchliche Heirat fehlte vor allem meinem Mann der Mut. Er hätte ja wohl schlecht eine Ersatzperson nehmen können … Obwohl ich ein Hochzeitskleid gekauft hatte, waren wir nicht mutig genug, eine Hochzeit zu planen.

Viel Verständnis vom Freundeskreis

Mein Freundeskreis hat sich mir gegenüber sehr gut verhalten. Sie haben mich immer wieder eingeladen und mit mir Verabredungen getroffen, obwohl alle wussten, dass diese spontan ausfallen können. Sie gaben mir auch nie das Gefühl, krank, schwach oder unzuverlässig zu sein. Diese Vorwürfe machte ich mir selber. Bei allem was ich plante, war die Angst im Kopf, dass ich Migräne bekommen könnte.

Wiederholt migränefrei

Es gibt auch Dinge in meinem Leben, die ich verpasst habe, weil ich mich einfach nicht getraute, sie zu planen. Dazu gehören mehrtägige Ski- und Bergwanderungen. Ich merke, wie ich jetzt schon in der Vergangenheitsform schreibe. Seit letzten November be­komme ich nämlich die neue Spritze. Übermorgen erhalte ich die nächste Injektion, und ich kann nun zum wiederholten Mal dem Arzt berichten, dass ich wieder einen migränefreien Monat erleben durfte.

Migraene
Jetzt sind mehrtägige Bergwanderungen möglich

Nie die Hoffnung aufgeben

Wie unterscheidet man Migräne von anderen Kopfweharten und wie wird sie behandelt? Dr. Andreas Baumann vom Neurozentrum Oberaargau weiss Rat.

Kann Migräne schon in der Kindheit auftreten?

Ja, es gibt eine familiäre Neigung. Die Migräne wird bei Kindern aber oft verkannt. Eine wichtige Migrä­nemanifestation kann das sogenannte zyklische Erbrechen sein. Wenn man bei einem Kind eine Migräne vermutet, ist es ratsam, einen Kinderneurologen beizuziehen.

Wächst sich eine Migräne einmal aus?

Bei vielen Menschen beginnt die Migräne nach der Pubertät beziehungsweise bei den Mädchen nach der ersten Menstruation. Im Alter und bei Frauen nach der Abänderung kann die Migräne zurückgehen. Oft ist es aber so, dass eine Migräne die Betroffenen ein Leben lang begleitet.

Migräne
Dr. Andreas Baumann, Neurozentrum Oberaargau

Wie kann man Migräne von anderen Kopfweh­formen unterscheiden?

Durch den Schmerzcharakter. Bei Migräne kommt es häufig zu sehr starken Beschwerden, so dass die Betroffenen nicht mehr arbeiten oder am normalen Leben teilnehmen können. Übelkeit und Erbrechen sind häufig. Licht- und Lärmempfindlichkeit sind ebenfalls wichtige Begleitphänomene. Es kann zu Sehstörungen und teilweise sogar zu Lähmungserscheinungen kommen. Alle Beschwerden gehen aber nach einer gewissen Zeit zurück.

Sind massive soziale Auswirkungen bei Migräne typisch?

Rund zehn Prozent der Betroffenen mit Migräne leiden stark unter ihren Symptomen. Man schätzt, dass 100 000 bis 120 000 Menschen in der Schweiz eine schwere Migräne haben.

Was wurde bei Frau Schaad alles probiert?

Die Patientin hat sämtliche verfügbaren vorbeugenden Medikamente versucht. Alle ohne Erfolg. Man hat Akupunkturen und physikalische Therapien gemacht – ohne Wirkung. Es sind sogar Injektionen mit Botulinum­toxin durchgeführt worden, was auch nicht geholfen hat. Auch herkömmliche Schmerzmedikamente haben nichts gebracht.

Welche Fehler darf man bei der Behandlung von Migräne nicht machen?

Man darf nie die Hoffnung verlieren und man darf nie die Bemühungen zur Besserung der Beschwerden aufgeben. Man muss an sich arbeiten, sonst nimmt die Kopfschmerzproblematik noch mehr Raum ein. Allerdings ist das leichter gesagt als getan.

Mit der neuen Spritze wurde Sandra Schaad auf einen Schlag anfallsfrei. Wie ist das zu erklären?

Bei der Entstehung der Migräne geht man heute von einem Migränegenerator im Hirnstamm aus. Dieser wird durch unbekannte Trigger aktiviert und erzeugt einen Impuls bei den Fasern des Gesichtsnervs. Der Gesichtsnerv versorgt die Blutgefässe der Hirnhaut. Dabei spielen bestimmte Botenstoffe eine Rolle. Die neue Spritze blockiert die Andockstelle dieser Botenstoffe. Weil sie so selektiv in die Entstehung der Migräne eingreift, wirkt sie so gut.

Wohin soll man sich mit einer so starken ­Migräne wenden?

Die neue Spritze muss durch einen Facharzt für Neurologie verschrieben werden. Wir Neurologen sind auf genaue Vorinformatio­nen angewiesen. Erste Anlaufstelle ist deshalb der Hausarzt. Er macht die Überweisung. Hilfreich ist ein genauer Kopfwehkalender. An welchen Tagen kommt die Migräne? Welche Schmerzmittel nimmt jemand ein?