Sex ist viel mehr als Lust – Sex ist Erlösung

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Sex war noch nie so allgegenwärtig. Noch nie gab es so viel Offenheit. Und noch nie wurde Sex so stark mit Lifestyle und Leistungsdenken in Verbindung gebracht wie heute. Für jene, die nicht mithalten können, gibt’s Viagra und Co. Die blaue Pille hat dazu geführt, dass psychologisch und zwischenmenschliche Hintergründe bei gestörtem Sexualleben immer mehr ausgeblendet wurden und eine rein körperlich-organische Sichtweise die Oberhand gewann. Mit dem Patentablauf der Potenzpille und den billigeren Nachahmer-Präparaten wurde die Entkoppelung des Sex von den Gefühlen noch verstärkt. Erektionsmittel sind Symptombehandlung. Die Mehrzahl der Benutzer sind gesunde Männer unter fünfzig. Und eben nicht die 60- und 70-jährigen Diabetiker. Potenzpillen sind vor allem auch angstlösende Medikamente.

Kein Druck, keine Angst

Wie das? Bei Erektionsstörungen geht es auch um Angst. Rein somatische Erklärungen greifen zu kurz. Erregung ist das Ergebnis von Vertrauen und Entspannung. Beides ist nur möglich ohne Druck und Angst. Ohne den ständigen Gedanken im Hinterkopf, bestimmten Erwartungen und Leistungsanforderungen genügen zu müssen. Beide, Mann und Frau, können sich gegenseitig impotent machen. Das läuft ganz subtil über Befürchtungsäusserungen: „Ich weiss nicht, ob mir das reicht. Das bringt mir so nichts“. Auf diese Weise entsteht eine selbsterfüllende Prophezeiung: Ich stelle Dich unter Bewährung und provoziere dadurch Dein Versagen, das mir beweist, dass es nichts bringt.

Ein weiterer Grund für Versagensängste ist Selbstunsicherheit, die zu der Vorstellung führen kann, Pornofilme nachturnen zu müssen. Ein solcher Partner ist Lichtjahre von sich und dem eigenen Erleben entfernt. Das tun Menschen, die aufgrund ihrer Verunsicherung nicht bei sich bleiben können, sondern sich ängstlich immerzu selbst beobachten: Wie wirke ich? Wie sehe ich aus? Wie komme ich an?

Intimste Form der Kommunikation

Sex ist mehr als das Generieren und Erleben von Lust. Sex ist vor allem Ausdruck unseres tief verankerten Bedürfnisses, im Anderen aufzugehen. Sich im Anderen erkennen ist nicht umsonst ein alttestamentarischer Begriff für Geschlechtsverkehr. Sex ist die intimste Form der Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht. Er dient vor allem auch der Erfüllung unserer Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit, Angenommensein und Geborgenheit.

Dem im Weg steht die Angst vor Zurückweisung, die Angst, nicht gut gefunden zu werden und nicht zu genügen und deshalb nicht anzukommen. Oder die Angst vor Intimität und Nähe, vor Verbindlichkeit und Bindung, vor Einlassung und Entblössung, vor Selbstoffenbarung, vor Hingabe und vor Kontrollverlust und Ekstase. Das sind alles wesentliche Punkte für das Verständnis von Sexualstörungen, die sich nicht mit einer Lustpille lösen lassen.

Lust kann sich jeder selbst machen oder jemanden mieten, der sie einem macht. Das einzige, das wir nicht alleine hinkriegen, ist das Gefühl, angenommen zu sein. Und deshalb tun wir uns noch heute als Liebende und Paare zusammen. Nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass wir Menschen auf Bindung programmiert sind. Und darum geht es beim Sex, um Erlösung durch die Überwindung von Vereinzelung.