Sieben Tage lang Kälteschock im Zürichsee

Fabio Zuerichsee “Es sieht dramatischer aus, als es ist.” Fabio Keller, freier Mitarbeiter der Sprechstunde Dr. Stutz

Die Russen steigen im Winter seit Generationen ins eiskalte Wasser. Auch andere nördliche Länder kennen die Tradition. In der Schweiz erklärten manche Medien das Eisbaden zum Lockdown-Trend. Es stärkt angeblich die Gesundheit und reinigt die Seele. Vielleicht ist es auch einfach nur schauderhaft.

Ein befreiendes Naturerlebnis

Ich wollte es wissen und ging eine Woche lang jeden Morgen im drei Grad kalten Zürichsee baden. Vor dem ersten Mal hatte ich Angst. Wo ziehe ich mich um, was werden die vorbeilaufenden Leute denken, muss ich danach schlotternd auf den Bus warten? All diese Nebensächlichkeiten lösten sich von allein.

Schon am zweiten Tag konzentriere ich mich nur auf die Reaktion des Körpers. Der abrupte Temperaturabfall ist jedes Mal ein Schock. Das Adrenalin erhöht die Herzfrequenz, die Atmung beschleunigt sich rasant und das Blut zieht sich ins Körperinnere zurück. Doch der Gedanke an einen warmen Kamin und ein wenig Geduld lassen die Alarmstimmung so schnell verschwinden, wie sie kam. Man muss nichts tun. Dem Element komplett ausgeliefert zu sein, erwirkt eine befreiende Hingabe, ein hautnahes Naturerlebnis.

Mit jedem Tag fällt es leichter, ins Wasser zu steigen und die unmittelbare Reaktion einzuordnen. Die anschliessenden Gefühle erlebe ich immer bewusster und länger. Nach dem Bad färbt sich die Haut tiefrot, mir ist wohlig warm, obwohl ich nass und fast nackt im Regen stehe. Ging es mir vorhin vielleicht nicht gut, so bin ich jetzt zwar nicht glücklich, aber immerhin fühle ich mich anders.

Die ultimative Fettverbrennung

Kaum zuhause, kehrt der Corona-Blues zurück. Eisbaden wirkt also keine Wunder, aber es hinterlässt ein bisschen Stolz aufs Abenteuer und Hunger. Für den Weg an den See und vor allem für das Heizen danach benötigt der Organismus sehr viel Energie. Auch hier wird das kalte Wasser nicht wundersam wirken, doch es ist möglich, mit regelmässigem Eisbaden das ein oder andere Kilo im See zu versenken.

Wer jetzt Badelust verspürt, sollte zwei Dinge beachten. Menschen mit Herz-Kreislauf-Krankheiten müssen vorher mit einer Ärztin oder einem Arzt sprechen. In jedem Fall ist es wichtig, eine Uferstelle zu finden, an der man sich erstmal vorsichtig und bis auf Nabelhöhe ins Wasser setzen kann. In kleinen Schritten kann aus dem Versuch ein Ritual werden, das länger besteht als sieben Tage.