Wenn das Leben zerrinnt

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Heide-Rose Decurtins, Meditationslehrerin in Basel, über die Vergänglichkeit unseres Lebens und den Brief einer alten Dame.

Mein Leben zerrinnt mir zwischen den Fingern. Haben Sie das auch schon gedacht? Meistens kommt dieser Gedanke nach einem einschneidenden Erlebnis, wie plötzlichem Verlust des Arbeitsplatzes, beim Tod eines lieben Familienmitglieds oder auch nach einer schwerwiegenden Diagnose.

Ist es nicht so, dass wir dann in ein Loch fallen und uns fragen: War dies mein ganzes Leben? Ich wollte doch noch so viel erleben! Ist es nicht so, dass Pläne oder Träume nicht sofort umgesetzt, sondern immer wieder hinaus geschoben werden, bis plötzlich der Zeitpunkt kommt, wo es zu spät ist? Sagen wir nicht immer wieder: Wenn ich pensioniert bin, werde ich reisen, mich vermehrt meinem Hobby widmen und vieles mehr. Und dann kommt die Pensionierung – oder vielleicht erlebt man diese auch nicht – und die Zeit ist schlichtweg vertan.

Warum ist es für viele Menschen nicht möglich, im Hier und Jetzt zu leben? Dinge im jetzigen Moment zu geniessen, sich an Dingen zu erfreuen, die sich jetzt bieten? Mag dies das Zwitschern einer Amsel sein, oder ein Gänseblümchen im Park. Immer wieder höre ich, ich tue dies, wenn … und das, wenn … Aber wann ist das? Wenn ich meinen Spaziergang mache und die Menschen beobachte, sehe ich, dass iPhones, Handys und virtuelle Musik wichtiger sind als das Pflegen zwischenmenschlicher Beziehungen.

Ist es wichtig, dass ich laufend in mein iPhone auf der Strasse starre, anstatt Blickkontakt mit Menschen zu halten? Ist es wichtig, dass ich mit aggressiver Musik aus den Kopfhörern zugedröhnt werde, anstatt die Geräusche des Lebens wahrzunehmen? Und wie viel Zeit verschwenden wir mit Surfen im Internet? Auch damit verlieren wir kostbare Lebenszeit. Wir leben in einer virtuellen Zeit. Dies ist durchaus in Ordnung, doch sollte diese uns nicht beherrschen, sondern wir sie. Ist es nicht so, dass wir uns zum Sklaven machen, obwohl wir uns wünschen, frei zu sein?

Mit jedem Tag erhalten wir die Chance, unser Leben erfüllt zu gestalten. Warum nehmen wir diese Chance nicht wahr? Wir fühlen uns immer im Stress, müssen dies und jenes erledigen, sind ständig in Terminschwierigkeiten – haben nie Zeit für einen Moment des Innehaltens – und eines Tages sind wir krank und ausgebrannt und werden dann so zum Innehalten gezwungen. Dann kommt der Tag, an dem uns bewusst wird, dass unser Leben zu Ende geht. Und was geschieht dann? Wir liegen im Krankenbett und hadern, dass wir all die Chancen nie ergriffen haben, die uns geboten wurden.

Mehr Informationen erhalten Sie bei Heide-Rose Decurtins: www.gestaltedirdeinezukunft.com

 

Auszüge aus dem Brief einer alten Dame:

„Könnte ich mein Leben nochmals leben, würde ich das nächste Mal riskieren, mehr Fehler zu machen. Ich würde mich entspannen, lockerer und humorvoller sein als dieses Mal. Ich kenne nur sehr wenige Dinge, die ich ernst nehmen würde.

Ich würde mehr verreisen. Und ein bisschen verrückter sein. Ich würde mehr Berge erklimmen, mehr Flüsse durchschwimmen und mir mehr Sonnenuntergänge anschauen. Ich würde mehr spazieren gehen und mir alles besser anschauen. Ich würde öfter ein Eis essen und weniger Bohnen.

Ich hätte mehr echte Schwierigkeiten als eingebildete. Müsste ich es noch einmal machen, ich würde einfach versuchen, immer nur einen Augenblick nach dem anderen zu leben, anstatt jeden Tag schon viele Jahre im Voraus.

Könnte ich noch einmal von vorne anfangen, würde ich viel herumkommen, viele Dinge tun und mit sehr wenig Gepäck reisen. Könnte ich mein Leben nochmals leben, würde ich im Frühjahr früher und im Herbst länger barfuss gehen. Und ich würde öfter die Schule schwänzen.

Ich würde mir nicht so hohe Stellungen erarbeiten, es sei denn ich käme zufällig daran. Auf dem Rummelplatz würde ich viel mehr Fahrten machen, und ich würde mehr Gänseblümchen pflücken. (Quelle: aus Robbins Power Prinzip)

Ist es wirklich so schwer, NEIN sagen zu lernen, sich abzugrenzen von vielen unnützen Dingen des Alltags, die uns unnötige Kräfte rauben und die wir eigentlich gar nicht wollen? Müssen wir überall dabei sein? Vielleicht fragen wir uns in Zukunft im Stillen: Will ich das überhaupt? Ist das wirklich notwendig? Im Stillen, wenn Sie in sich hören und genau zuhören, hören Sie Ihre innere Stimme, die genau weiss, was für Sie gut ist. Bitte hören Sie in Zukunft genau hin.

Freuen Sie sich nicht nur heute Ihres Lebens, sondern geniessen Sie jeden einzelnen Tag und alles, was immer Sie geschenkt erhalten. Seien Sie dankbar für all das, was Sie heute erleben und freuen Sie sich auf morgen; denn jeder Tag bringt neue Erfahrungen und vieles mehr. Dies jedoch nur, wenn Sie achtsam mit Ihrem Leben sind und es Ihnen bewusst ist, wie kostbar es ist – und – wie schnell es zerrinnt.

Und vergessen Sie nicht, morgen – oder auch schon heute – könnte Ihr letzter Lebenstag sein. Darum leben Sie bewusst jede Minute Ihres kostbaren Lebens und vergeuden es nicht mit unnötigen Dingen.